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10 Kernpunkte für bessere Schulqualität – Schulqualität verbessern, Chancen aufbauen, Zukunft sichern

11. Februar 2023

ZUSAMMENFASSUNG
Aktuelle Studien wie zuletzt der IQB-Bildungstrend 20211 zeigen hohen und akuten Handlungsbedarf im Schulbereich. Über 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler konnten am Ende der vierten Klasse einfache mathematische Aufgaben nicht lösen, 19 Prozent haben kein wirkliches Lese- und Hörverstehen und 30 Prozent können nicht richtig schreiben. Die 2021 getesteten Viertklässlerinnen und Viertklässler stehen in wenigen Jahren vor den Betrieben – in gut 5 Jahren für ihr erstes Praktikum, in 8 bis 10 Jahren mit ihrer Bewerbung auf einen Ausbildungsplatz. Das Thema Schulqualität ist daher für die Arbeitgeber von höchster Relevanz – und nicht nur für sie, sondern für die Jugendlichen selbst und ihre Chancen, für unsere ganze Gesellschaft und ihre Zukunftsfähigkeit.

Damit die Schulqualität besser wird, schlagen wir dieses Gesamtkonzept vor:

IM EINZELNEN

1. Vorschulische Bildung ausbauen
Bildung beginnt weit vor der Schule. Die Kindertageseinrichtung ist die erste Stufe des Bildungssystems. Eine systematische Diagnostik des Sprachstands und darauf aufbauende verbindliche Sprachfördermaßnahmen sind dringend und flächendeckend notwendig. Sprache ist die fundamentale Grundlage aller weiteren Bildung. Das natürliche Interesse der Kinder an Natur und Technik kann dabei gut als Lerngelegenheit genutzt und Sprachförderung mit MINT-Förderung verbunden werden.

2. Lernziele kontinuierlich überprüfen und verbindlich umsetzen
Mit den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz sind bundesweit geltende Lernziele und zu erreichende Kompetenzen formuliert und vereinbart worden2. Damit soll die Qualität gesichert und mehr Vergleichbarkeit zwischen den Bundesländern sowie ein bundesweites Mindestniveau an Leistungen erreicht werden – diese Ziele werden bislang aber verfehlt. Es braucht deshalb eine systematische Diagnostik des erreichten Leistungsstands aller Schülerinnen und Schüler in deutlich kürzeren Abständen, damit die Erkenntnisse dann zügig und zielgenau für Maßnahmen genutzt und die erkannten Schwächen wirksam angegangen werden können. Wir dürfen keine Schülergeneration verlieren! Schulen müssen Diagnoseinstrumente wie die Vergleichsarbeiten gezielter als bisher zur Qualitätsverbesserung des Unterrichts nutzen3. Die Kultusministerkonferenz sollte zudem auch das Erreichen der Bildungsstandards für die Hochschulreife bundesweit durch das IQB überprüfen lassen.

3. Selbstständige Schule stärken
Schulen kennen ihre Schülerschaft und ihr Umfeld am besten. Sie brauchen Handlungsfreiräume, um auf die Ausgangslagen ihrer Schülerinnen und Schüler eingehen und sie gezielt und individuell fördern und fordern zu können. Schulen sollten ihr eigenes Profil bilden, Verträge schließen, mit Partnern kooperieren und ihr Budget verwalten können. Auch Personalauswahl und -entwicklung sollten in der Hand der Schule liegen. Die selbstständige Schule überprüft systematisch die Qualität ihrer Leistungen und verbessert sich kontinuierlich weiter. Die Schulleitung ist der pädagogische Motor der Unterrichts- und Organisationsentwicklung. Bei dieser Aufgabe braucht sie eine gute Qualifizierung, kontinuierliche Beratung und spürbare Entlastung vom gestiegenen Verwaltungsaufwand. In großen Schulen aller Schulformen müssen geeignete Führungsstrukturen eingerichtet und ist eine mittlere Führungsebene mit Fach- und Personalverantwortung zu implementieren.

4. Bildungschancen aufbauen, fördern und begleiten
Kinder mit ungünstigen Startbedingungen brauchen verlässliche Begleitung und persönliche Zuwendung. Eine früh startende und kontinuierlich fortgesetzte Förderung ist für sie besonders wichtig. Dies beginnt mit dem frühen und regelmäßigen Besuch der Kindertageseinrichtung und reicht bis in den begleiteten Übergang in Ausbildung oder Studium hinein. Eine Schwerpunktsetzung bei den Grundkompetenzen Deutsch und Mathematik in der Grundschule und fortgesetzt in der Sekundarstufe I ist notwendig, damit alle jungen Menschen mindestens die Basisstandards erreichen und auch ihr weiteres Potenzial an Leistung entfalten können. Schulen in ungünstiger sozialer Lage sollten zusätzliche Ressourcen erhalten, wie im Bundesprogramm „Startchancen“ vorgesehen; dabei muss das „Chancenbudget“ unbürokratisch für eigenverantwortliche Aktivitäten der Schule zur Verfügung stehen. Dazu können auch unkonventionelle pädagogische Ansätze und Ansprachen gehören, mit denen diese Schülerinnen und Schüler selbst aktiv werden. Um die durch die Pandemie gewachsene Bildungsungleichheit zu verringern, sind die Ausgleichs-Programme bedarfsorientiert weiterzuführen, zielgerichtet umzusetzen und begleitend zu evaluieren.

5. Digitalisierung für bessere Bildung einsetzen
Zu einer zeitgemäßen Allgemeinbildung der jungen Menschen gehören digitale und informationstechnische Kompetenzen. Das Bildungsziel ist die Entwicklung digitaler Souveränität, um digitale Medien selbstbestimmt und unter eigener Kontrolle nutzen und die wechselnden Anforderungen in einer digitalisierten Welt aufgreifen und gestalten zu können. Der erste Schub in der digitalen Ausstattung von Schulen durch die Pandemie muss fortgesetzt und ausgebaut werden, insbesondere durch den Digitalpakt 2.0 ab 2024, der um digitale Lehr- und Lernmaterialien, auch KI-gestützt, um Abo- und Lizenzmodelle, aber auch um Experimentierbudgets zu erweitern ist. Die Evaluation des bisherigen Digitalpakts ist dringlich, um Wiederholungsfehlern vorzubeugen. Lehrkräfte nutzen digitale Medien dann, wenn sie diese als sinnvolle Bereicherung für ihren Unterricht im Fach und für das Lernen erleben4. Die geplanten Kompetenzzentren Lehrerbildung und der DigitalPakt 2.0 müssen daher so konzipiert werden, dass sie Lehrkräfte diese positive Erfahrung machen lassen und ihnen die notwendige Qualifikation vermitteln. Funktionierende Infrastruktur, passende Ausstattung und verlässlicher Support sind dafür Voraussetzungen.

6. Ganztag nutzen und gestalten
Die Zunahme der Ganztagsangebote an Schulen – bald verstärkt durch den Rechtsanspruch im Grundschulalter – bietet neue Chancen für eine verbesserte Bildung. Dafür müssen Vor- und Nachmittag sinnvoll verzahnt sein. Das Ganztagskonzept entwickelt die Schule nach ihrer Ausgangslage und Zielsetzung – je nach dem wird die zusätzliche Zeit für die Erweiterung des Unterrichts, für ergänzende Angebote oder die sozialpädagogische Förderung der Persönlichkeitsentwicklung genutzt. Auch die außerschulischen Angebote im MINT-Bereich oder der Beruflichen Orientierung können gut in den Ganztag einbezogen werden. Entscheidend für die Qualität ist die Stimmigkeit im Blick auf das pädagogische Gesamtkonzept der Schule. Insbesondere auf den bedarfsgerechten Ausbau rhythmisierter Ganztagsangebote soll ein Fokus gelegt werden.

7. Lehrkräfte gewinnen, fortbilden, unterstützen
Eine vorausschauende Personalplanung für den Lehrkräftebedarf ist dringend überfällig. Dabei müssen auch die Ein-Fach-Lehrkraft und der Wechsel auf den Master of education nach einem anderen Bachelor flächendeckend möglich gemacht werden5. Auch Quereinsteigende können eine Bereicherung sein, zumal mit Erfahrungen aus der Berufswelt. Lehrkräfte brauchen eine praxisnahe Ausbildung und eine effektive Fortbildung, die ihre professionelle Weiterentwicklung fortlaufend unterstützt und zur Schulqualität beiträgt. Mehr als bisher müssen berufliche Entwicklungschancen, Arbeiten im Team und Entlastung durch weitere Professionen den Beruf für die Zukunft attraktiv machen.

8. Soziale und personale Kompetenzen junger Menschen fördern
Haltungen wie Zuverlässigkeit, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, Eigen- und Mitverantwortung sind mehr denn je gefragt und zählen zu den 21st century skills7. Ein gutes Miteinander ist zudem für das Lernen in der Schule unverzichtbar. Schulen haben in diesem Kontext einen Erziehungsauftrag, den sie in Zusammenarbeit mit den Eltern wahrnehmen. Um diesen Auftrag zu erfüllen, brauchen sie Unterstützung durch Öffentlichkeit und Gesellschaft, die Werte vorleben müssen. Zum Hineinwachsen in die Erwachsenenwelt gehört auch die kompetente und eigenverantwortliche Wahl des weiteren Wegs in die Wirtschafts- und Arbeitswelt. Die stärkenorientierte klischeefreie Berufliche Orientierung ist eine Querschnittsaufgabe der Schule und daher Teil des Qualitätsprozesses.

9. Begleitung durch die Schulaufsicht bewusst wahrnehmen
Die Schulaufsicht ist erste Ansprechpartnerin der Bildungsverwaltung für die Schulen. Sie muss ihre beratende Aufgabe bewusster wahrnehmen und die Schulleitung bei der Qualitätsverbesserung nachhaltiger begleiten, vor allem mit konkreten Vereinbarungen zu Zielen und Leistungen. Sie soll die Schule aktiv dabei unterstützen, die Lernziele und Mindeststandards bei den Schülerinnen und Schülern zu sichern. Umgekehrt greift die Schulaufsicht die Belange der Schulen auf und spiegelt sie an Kultusministerium und Bildungspolitik. Für diese Funktionen sind ein professionelles Leitbild und entsprechende Qualifizierung und Fortbildung gefragt.

10. Schulpolitik mit Empirie und Strategie angehen
Mit einem System der empirischen Erfassung von Lernständen und daraus abgeleiteten Maßnahmen konnte Hamburg die Schülerleistungen deutlich verbessern – bei einem hohen Anteil von Kindern mit ungünstigen Startbedingungen. Nicht zuletzt dieses gute Beispiel zeigt: Ein umfassendes und kontinuierliches Monitoring für die Schule ist unverzichtbar und wirkungsvoll, um Probleme identifizieren und gezielt angehen zu können. Ziel der Schulpolitik muss eine adäquat ausgestattete, leistungsfähige und selbstständige Schule sein, die ihre Schülerinnen und Schüler zu den Lernzielen hinführt und sie auch bei ungünstigen Ausgangslagen – mit individueller Förderung und Schwerpunktsetzung bei Grundkompetenzen – zu Abschluss und Anschluss begleitet. Die Schulpolitik muss mehr als bisher evidenzbasiert ansetzen, von erfolgreichen Programmen anderer Länder lernen und nachhaltig und wirkungsorientiert diese Zielorientierung verfolgen.

Im Interesse der Schülerinnen und Schüler sind diese Vorhaben zügig anzugehen, damit alle jungen Menschen eine gerechte Chance auf gute Bildung und einen erfolgreichen Start im Beruf haben und ihren Teil zu unserer freiheitlichen Gesellschaft beitragen können.

 

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